
PORTRÄT
CORALINE PARMENTIER
Soroptimist International Club Nyon-Rolle
Ich bin tief mit Authentizität, Weitergabe und kultureller Gerechtigkeit verbunden.
Ich bin die zweite von drei Töchtern afrikanischer Herkunft, adoptiert und in Frankreich geboren. Mit drei Monaten kam ich in meine Familie, und das Aufwachsen mit Eltern einer anderen Hautfarbe sowie ohne biologische Verbindung hat mir sehr früh einen pluralen Blick auf Identität und auf die Bindungen gegeben, die uns prägen. Mit zwei Jahren trat das Klavier in mein Leben und hat mich seither nicht mehr verlassen; es wurde meine erste Sprache, eine konstante Präsenz seit 1997. Parallel dazu habe ich immer geschrieben: kurze Erzählungen, Gedichte, Kinderhefte, in denen ich mir Welten erfand. Musik und Schreiben entwickelten sich gemeinsam, als zwei sich ergänzende Wege, die Realität zu begreifen. Diese doppelte Sensibilität hat meine gesamte Jugend und mein instinktives Verhältnis zur künstlerischen Arbeit geprägt.

Wie ist die Rolle der Frau in Verbindung mit deinem Leben?
Mein musikalischer Werdegang war lange Zeit von einem nahezu ausschließlich männlichen Repertoire geprägt. Das einzige Werk, das von einer Frau komponiert wurde und das ich in einem akademischen Rahmen interpretiert habe, war Fleurs d’opale von Édith Lejet bei meinem Masterrezital 2019. Diese Erfahrung machte ein Ungleichgewicht sichtbar und löste in mir eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der Rolle der Frauen in der Musikgeschichte aus. Als Frau in diesem Umfeld war ich gezwungen, meinen eigenen Platz zu erfinden und bestimmte ästhetische Zuschreibungen zurückzuweisen. Aus diesem inneren Prozess entstand mein Wunsch, mich weiblichen Stimmen zuzuwenden – woraus später mein Programm Femmes de Légende hervorging.
Beschreibe den zweiten Teil deines Lebens bis heute.
Website: coralineparmentier.com
Nach zehn Jahren, die eng mit der Romandie verbunden waren – insbesondere durch mein langjähriges Studium an der Haute École de Musique de Genève –, entschied ich mich 2023, von der Grenzgängerin zur Einwohnerin zu werden. Dort gründete ich Piano Mondo, ein künstlerisches Ökosystem, das eine Musikschule, ein Plattenlabel, einen Verlag und ein mobiles Studio vereint. Ein besonders wichtiger Aspekt ist die Begleitung meiner Schüler:innen bei der Entwicklung ihrer eigenen Werke: Jedes Jahr komponieren, nehmen sie auf und veröffentlichen ihre eigenen Alben, wodurch mein Unterrichtsraum zu einem echten künstlerischen Labor wird.
Mein Programm Moments Suspendus existiert seit 2015 und umfasste zunächst lateinamerikanische und spanische Musik, bevor es – seit der Anschaffung eines orientalischen Keyboards aus der Türkei – durch arabische Musik ergänzt wurde, die ich für Klavier transkribiere oder selbst komponiere. 2025, anlässlich meines zehnjährigen Bühnenjubiläums, veröffentlichte ich meine ersten beiden Alben, die gemeinsam ein Diptychon über den Nahen Osten und den Maghreb bilden.
Mein Programm Femmes de Légende, das bereits 2020 konzipiert wurde, speiste sich aus allein durchgeführten Forschungsaufenthalten zwischen 2021 und 2023 in mehreren internationalen Universitätsbibliotheken: Madrid, Brüssel, Montréal sowie auch aus der Ferne mit der Bibliothèque nationale de France in Paris. Diese geduldige Recherche ermöglichte es mir, moderne Komponistinnen des 20. Jahrhunderts zu entdecken – eine Epoche (1920–1950), die seit jeher meiner künstlerischen Sensibilität entspricht.
Diese Arbeit mündet in mein frankophones Diptychon „Feminae“, das 2026 erscheint:
- Band 1, Veröffentlichung am 14. Juni (Tag des feministischen Engagements in der Schweiz), widmet sich bisher unveröffentlichten Werken vergessener Komponistinnen aus Frankreich, der Schweiz, Belgien und Québec.
- Band 2, Veröffentlichung am 11. Oktober (Internationaler Mädchentag), vereint meine eigenen Kompositionen als Hommage an engagierte Frauen, darunter mehrere aus der Romandie, wie Simone Press, Gründerin des Soroptimist-Clubs Nyon und selbst professionelle Pianistin.
Es ist mir wichtig, über Frauen und Mädchen zu sprechen. Fünf Jahre lang (2017–2022) war ich UNICEF-Jugendbotschafterin Frankreich, um Kindern den Zugang zu Kultur und Bildung zu ermöglichen – Entscheidungen im Leben, die vielen der Komponistinnen früherer Zeiten, die ich heute musikalisch würdige, verwehrt blieben.

Was ist dir wichtig, was prägt dich?
Ich bin tief mit Authentizität, Weitergabe und kultureller Gerechtigkeit verbunden. Mein pianistische Weg bildet eine kontinuierliche Linie: Musik ist für mich niemals nur ein ästhetischer Akt. Sie trägt Erinnerungen, Erzählungen und Vermächtnisse in sich. Sie ist ebenso ein ethischer Akt wie eine Kunstform. Genau das möchte ich sowohl meinen Schüler:innen vermitteln als auch in meinem eigenen künstlerischen Schaffen als Konzertpianistin leben.
Wie bist du zu den Soroptimists gekommen?
Mein Weg zu den Soroptimists erfolgte schrittweise. 2017, als ich in Annemasse lebte, näherte ich mich dem dortigen Club an, der jedoch später aufgelöst wurde. Anschließend wandte ich mich an Annecy, was sich jedoch als zu weit entfernt erwies, um mich dort dauerhaft zu engagieren, weshalb ich schließlich den Club Genève-Fondateur kontaktierte. Als ich dann Frankreich verließ, um mich in Nyon niederzulassen, nahm ich Kontakt mit dem lokalen Club auf, wo ich sofort herzlich aufgenommen wurde. Zu erfahren, dass die ursprüngliche Gründerin eine professionelle Pianistin war, bestärkte mich endgültig in dem Gefühl, das Netzwerk gefunden zu haben, das meinen Werten entspricht.


Was erlebst du bei den Soroptimists?
Innerhalb des Clubs entdecke ich einen Raum echter Solidarität, reichhaltiger Begegnungen und kollektiver Intelligenz. Die vielfältigen Lebenswege der anderen Mitglieder nähren meine Reflexion und erweitern meinen Horizont. Ich finde dort eine konstruktive Energie aus konkretem Handeln, Zuhören und Wohlwollen. Ich habe das Glück, unter anderem von Myriam, Rosanna, Hoang, Christine und vielen weiteren begleitet zu werden. Meine Soroptimist-Patin Andrée war Klavierschülerin unserer Gründerin Simone Press. Seit Jahrzehnten leitet sie die renommierte Galerie Murandaz in Nyon, einen zentralen Ort des kulturellen Lebens der Region, was auf natürliche Weise mit meinem eigenen Künstlerleben in Resonanz tritt. Dort finden auch die monatlichen Soroptimist-Treffen statt.
Was bedeutet es für dich heute, eine Frau zu sein, und welchen Bezug hat das zu den Soroptimists?
Eine Frau zu sein bedeutet für mich heute vor allem die grundlegende Freiheit, die eigene Form der Weitergabe zu wählen. Ich habe mich entschieden, keine Kinder zu haben; meine Fruchtbarkeit liegt im Geist, in der künstlerischen Schöpfung, auf der Bühne und in der Arbeit mit meinen Schüler:innen. Frau zu sein heißt heute auch, sich der eigenen Privilegien als westliche Frau bewusst zu sein, ebenso wie der persönlichen Kämpfe als Frau und als rassifizierte Person – eine Anerkennung, die noch längst nicht überall gegeben ist. Rassismus und Misogynie sind Gründe, weshalb ich mein Geburtsland verlassen habe.
Die Soroptimists verkörpern für mich ein Kollektiv von Frauen, die handeln, unterstützen, aufklären und gemeinsam aufbauen. Es ist ein Ort, an dem jede ihre eigene Geschichte schreiben kann und zugleich zur Geschichte der anderen beiträgt.