Mittwoch, 6. Juli 2022 – In der vierten Juniwoche reiste eine Schweizer Delegation nach Kortrijk (Belgien) zum Governors’ Meeting. Im Vorfeld dazu hatte SIE eine Growth Academy organisiert. Hier ein kurzer Bericht über diese – trotz Flug-Chaos – sehr schöne Reise.

Zukunftsstrategie: ein paar Ideen!

Carolien Demey, die Präsidentin der Europäischen Föderation, ist eine dynamische Unternehmerin mit Hirn, Herz und ganz viel Humor. Nach zwei Jahren Zoom-Meetings habe ich den persönlichen Kontakt zu ihr und ihrem Team sehr geschätzt. Mit Sabine Mach und Mara Constantino führte sie in Kortrijk vier Tage (vom 23. bis 26. Juni 2022) durch die Growth Academy und das Governors’ Meeting. Ihre Heimatstadt ist nur ein Steinwurf von der französischen Stadt Lille entfernt. Das haben wir zusammen mit Anita Waser festgestellt, weil wir ungewollt nachhaltig gereist sind. Unser Flug wurde in letzter Minute annulliert, und so sind wir mit dem Zug ab Genf über Lyon nach Lille gefahren. Eine Entdeckungsreise durch Frankreich! Aber kommen wir zur Sache, zur Growth Academy und zum Governors’ Meeting 2022.

Junge Frauen begeistern

Zwei Tage lang befassten sich rund 100 Soroptimistinnen aus ganz Europa und Kuwait mit der Frage: Wie kann der Fortbestand von Soroptimist International gesichert werden? In verschiedenen Workshops wurden Ideen dazu ausgetauscht und Lösungsansätze ausgearbeitet. Weltweit stellen sich die gleichen Probleme wie in der Schweiz. Niemand hat mehr Zeit für ehrenamtliche Vorstandsarbeit. Auch ist es sehr schwierig, junge Frauen für unsere Organisation zu gewinnen. Diesbezüglich können wir uns in der Schweiz allerdings nicht beklagen. Zurzeit sind fünf neue Clubs in Gründung oder kurz davor.

Diese zweitägige Auseinandersetzung mit unserer Zukunft fand in einer schönen internationalen Atmosphäre statt. Der Ablauf gestaltete sich wie folgt: Am ersten Tag drei Vorträge zu den Themen: Change Management (Cathelijne De Vries), Leadership (Eleonora Bonacossa) und Strategy (von eurer Präsidentin erarbeitet). Eine vorgängige Diskussion zu Dritt, dann drei Panels und schliesslich ein Austausch im Plenum.

Eine Strategie finden

In meiner Präsentation mit dem Titel: Building a successful strategy in a frantic world habe ich einerseits von der mangelnden Bereitschaft der Frauen zu Leadership gesprochen und andererseits vom Mangel an Unterstützung weiblicher Führungskräfte. Dieser Mangel ist sowohl von Seiten der Männer als auch von Seiten der Frauen zu beobachten. Dann habe ich erklärt, was ich aus meiner Berufserfahrung weiss. Nämlich, dass es keinen Sinn macht zu kommunizieren, wenn man keine etablierte Strategie hat. Das Soroptimist-Label allein reicht nicht aus, um junge Frauen anzuziehen.

Anschliessend forderte ich die anwesenden Soroptimistinnen dazu auf, sich auf die Ursprünge unserer Bewegung zu besinnen (Geschichte war schon immer mein Lieblingsfach). Wie der Name besagt, war Soroptimist International von Anfang an eine internationale Angelegenheit mit enger Beziehung zu den Frauenrechtlerinnen, den Suffragetten und den Garçonnes. Sie alle hatten den Wunsch nach Freiheit und Eigenständigkeit. Sie forderten mehr Rechte, das Frauenwahlrecht und die Freiheit der Berufswahl. Diese rebellische und emanzipatorische Kraft wurde zweifellos durch den Zweiten Weltkrieg gebrochen. Den wenigen zögerlichen Fortschritten war auch die feministische Bewegung der 70er Jahre eher abträglich. Diese wurde als linke Bewegung abgetan und war daher angeblich nicht mit den Werten von SI vereinbar. Dies führte dazu, dass sich viele Soroptimistinnen wieder in die ihr zugedachten Reihen einordneten und sich von anderen sagen liessen, was sie zu tun hatten: nämlich anderen helfen! Sie wurden zu wohltätigen Frauen, vergleichbar mit unseren Grossmüttern. Das ist alles gut und recht. Ihnen gebührt unser Dank, doch für junge Frauen hat dieses Image wenig Anreiz.

Soroptimistin, Feministin, Humoristin

Dann wollte ich etwas provozieren. Als neues Modell schlug ich folgendes vor: „Soroptimistin, Feministin und Humoristin!!!“ Das löste eine grosse Diskussion aus. Es stellte sich heraus, dass sich die meisten Teilnehmerinnen zwar als Feministinnen erachten, dies aber ungern öffentlich zugeben. Sie scheuen sich vor herber und absurder Kritik. Wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Als Antwort habe ich auf eine Definition von Cicily Isabel Fairfield (1892-1983), eine unter dem Namen Rebecca West bekannte Schriftstellerin, Journalistin und Weltenbummlerin, verwiesen. „Ich selbst konnte nie bis ins einzelne feststellen, was Feminismus ist: ich weiss nur, dass ich immer dann als Feministin abgestempelt werde, wenn ich Meinungen vertrete, die mich von einer Prostituierten oder einer Fussmatte unterscheiden.“ Die Gruppe schlug dann vor, das jeweilige Gegenüber zu fragen, was seine Definition von Feministin ist.

Einige Vorschläge

Um es nicht bei der Selbstkritik zu belassen, haben wir ein paar andere Ideen erörtert.

  • Gründung eines neuen Clubs mit jüngeren Mitgliedern, wobei die älteren Mitglieder des bestehenden Clubs eine Mentoring-Funktion übernehmen können;
  • Gründung eines E-Clubs;
  • wenn jüngere Mitglieder aufgenommen werden, gleichzeitig mehrere zusammen aufnehmen und ihnen schnell eine Aufgabe übertragen oder sie an einem Projekt teilhaben lassen;
  • neue Arten von Zusammenkünften organisieren: Treffen am Abend, aber auch am Mittag, in einem Park oder in einem Museum, abwechslungsweise auch Zoom-Meetings usw.;
  • manchmal etwas weniger formell, dafür herzlicher, natürlicher und fröhlicher sein;
  • an monatlichen Treffen Projekte besprechen oder gemeinsam erarbeiten, statt immer nur einem Vortrag zuzuhören.

Diese als interessant erachteten Vorschläge wurden rege diskutiert und sind in manchen Clubs bereits umgesetzt;

Danach habe ich von der „absoluten Schwesternschaft“ gesprochen, die Folgendes bedeutet:

  • nie öffentlich eine Soroptimistin kritisieren, wenn nötig zur Seite nehmen;
  • vor allem nie eine Soroptimistin kritisieren, weil sie es anders macht als wir es gewohnt sind;
  • die Präsidentin, den Vorstand und die verabschiedeten Projekte aktiv unterstützen;
  • eine neue Präsidentin mit wenig Führungserfahrung nicht herabsetzen, sondern coachen;
  • intelligente, effiziente Frauen in Führungsposition bewundern;
  • echte Solidarität lernen und leben, auch wenn das in einer Gesellschaft, die uns das Gegenteil vorlebt, nicht einfach ist;
  • sich bewusst sein, dass unsere wirkliche Stärke eben diese Solidarität ist.

Über diese Punkte waren sich alle einig. Einige sagten auch, dass es schwierig ist, ein Leader zu sein, sowohl in der Berufswelt als auch im Rahmen von Soroptimist International. Der Vorschlag, dass Solidarität die Speerspitze unserer Organisation sein sollte, fand allgemeine Anerkennung.

Am nächsten Tag nahmen Donatella Benjamin, Anita Waser und ich an verschiedenen Workshops mit unterschiedlichen Themen teil:

  • How to change mindsets and old habits and solve conflicts, ein spannendes Thema, das von Margrit Weber-Scherrer vorgestellt wurde;
  • How to inspire more members war das dynamisch vorgetragene Präsentationsthema von Sandra Gonzalez Sköld;
  • Public speaking lautete das anhand von Beispielen erläuterte Thema von Jan Dauwe.

Alle Vorträge waren anregend und haben uns einmal mehr klargemacht, was es bedeutet Soroptimistin zu sein: nämlich Teil einer internationalen Bewegung. Dies sollte uns alle vereinen und aus unserem Alltag herauslocken.

Governors’ Meeting

An den zwei Folgetagen nahmen wir mit einer Schweizer Delegation am Governors’ Meeting teil. Als Unionspräsidentin und silent observer durfte ich neben unseren beiden Unionsvertreterinnen Brigitte Cron und Jolanta Jozefowski sitzen. Gleich nebenan hatten die Schwedinnen und die Türkinnen Platz genommen. Alles in alphabetischer Reihenfolge.

Ich kann bestätigen, dass alle viel und gut gearbeitet haben (siehe auch Bericht unserer Governors). Am Schluss wurden die Best Practice Awards vergeben: mehrere davon gingen nach Italien und Österreich, einer in die Niederlande und ein weiterer nach Kuwait. Darüber haben wir uns ganz besonders gefreut, weil sich die Kuwaiterinnen enorm stark engagiert haben. Und nächstes Jahr müssen unbedingt auch wir unsere Unions- und Clubprojekte vorstellen. Wir können bereits diesen Sommer darüber nachdenken und darüber sprechen. Nun wünsche ich euch allen schöne, sonnige und erholsame Sommertage.

Brigitte Mantilleri
Unionspräsidentin 2020-2022